FAQ zur Zuchtwertschätzung
Dr. Reiner Beuing Tierzucht und angewandte Genetik, Gießen
Antworten zu einem Leserbrief im Boxerklub, in dem die Frage gestellt wurde, warum man die Zuchtwerte als Züchter nicht nachrechnen kann. Ist ZWS nur für Mathematiker?
Natürlich ist die Zuchtwertschätzung für Nichtmathematiker gedacht. Für praktizierende Tierzüchter soll sie eine Entscheidungshilfe darstellen, ohne dass sie selbst umfangreiche Recherchen in Zuchtbüchern oder Clubzeitungen anstellen müssen und auch ohne auf Schmäh oder Anpreisungen reinzufallen. Zuchtwertschätzung hat sich methodisch von recht einfachen Methoden zu komplexen statistischen Verfahren hin entwickelt. Ursprünglich diente sie den Rinderzüchtern dazu, die Milchvererbung von Bullen abzuschätzen. Wie man weiß, geben ja Bullen keine Milch, ebenso wie Hündinnen nicht kryptorchid sein können oder Rüden keine Kaiserschnitte brauchen. Die ersten „Schätzungen“ waren, dass man annahm, dass Bullen aus guten Müttern besser vererben als solche von schlechten Müttern. Man merkte aber an den Töchtern der Mütter, dass man nicht die Überlegenheit der Mütter vollständig anrechnen durfte, sondern nur einen Teil, entsprechend dem Erblichkeitsgrad. Man sah, dass z.B. alle Kühe, die 1000 Liter mehr Milch gaben als der Rassedurchschnitt, Töchter mit einer Durchschnittlichen Überlegenheit von nur ca. 125 Litern hatten. Kühe mit 1000 Litern Überlegenheit hatten somit im Durchschnitt nur Erbanlagen für 250 Liter Milch. Wenn diese dann zur Hälfte an die Nachkommen übertragen werden, bleiben 125 Liter übrig. Der Erblichkeitsgrad für Milchleistung ist etwa 0,25 bzw. 25%. Was für Töchter gilt, gilt auch für Söhne. Daraus ergab sich die erste Formel für die Abschätzung des Zuchtwertes: man nimmt die Überlegenheit der Mutter, multipliziert sie mit der Erblichkeit und dem Verwandtschaftsgrad Mutter-Sohn und erhält einen Zuchtwert: Zuchtwert= (Mutterleistung-Rassedurchschnitt) x Erblichkeit x 0,5Oder wenn man den Zuchtwert der Mutter selbst sucht, gilt Zuchtwert=(Eigenleistung-Rassedurchschnitt) x Erblichkeit x 1,00. Den Wert 1,0 setzt man ein, weil das leistungsgeprüfte Tier mit dem Tier, dessen Zuchtwert man sucht, identisch ist.
Zu solcher Zuchtwertschätzung braucht man nicht einmal einen Taschenrechner. Nun kommt sofort die Kritik an diesem simplen Verfahren: Ein Jungbulle hat ja nicht nur eine Mutter! Wenn vom Vater schlechte Genetik kam, ist trotz guter Mutter sein Zuchtwert möglicherweise schlecht. Zugegeben, das Wissen, wie gut die Mutter war, ist immerhin etwas, aber wüsste man auch über die Vaterseite mehr, dann könnte der Zuchtwert sicherer sein.
Immerhin kennt man die Milchleistung von Vaters Mutter, wenngleich diese Großmutter nur noch ein viertel verwandt mit dem Jungbullen ist. Doch das ist immerhin besser als keine Information und so bringen wir die zwei Seiten zusammen: Zuchtwert=(Mutterleistung-Rassedurchschnitt) x Erblichkeit x 0,5 + (Vaters Mutterleistung— Rassedurchschnitt) x Erblichkeit x 0,25
Ein Beispiel dazu: Der Rassedurchschnitt lag 1950 bei 5000 Litern Ein Jungbulle auf der Körung hatte eine Mutter, die 7000 Liter gab und die Mutter des Vaters gab 8200 Liter Milch. Bei einer Erblichkeit für Milchleistung von 25% ist der ermittelte Zuchtwert des Bullen: 2000 x 0,25 x 0,5 + 3200 x 0,25 x 0,25 = 250 + 200 =450. Von vielen Bullen, die eine solche Ahnenleistung haben, kann man im Durchschnitt erwarten, dass sie genetische Überlegenheit für eine Milchleistungssteigerung von 700 Liter haben und deshalb wird auch dem einzelnen Bullen dies als Zuchtwert zugeschrieben. Der nächste Schritt in der Begehrlichkeit nach besserer Information war die Kontrolle der Töchter des Vaters. Diese charakterisieren den genetischen Beitrag des Vaters zum Zuchtwert des Jungbullen ja viel besser als Vaters Mutter, denn es sind viele Informanten, die schließlich mit dem Vater genauso verwandt sind (0,5) wie seine Mutter. Man kann Mutter und Töchter zu einem Durchschnitt zusammenfassen, die Überlegenheit gegenüber der Rasse bestimmen, und dann die Aussagekraft berechnen. Die Formel für den Multiplikator ist 2n/(n+k), dabei ist n die Zahl der Informanten und k ist eine Konstante, die für die Erblichkeit und den Verwandtschaftsgrad der Informanten untereinander typisch ist. Die Formel ist k=(4-Erblichkeit)/Erblichkeit bei einer Erblichkeit von 0,25 ist diese Konstante 15. Wenn nun der Vater des Bullen 29 geprüfte Töchter hat, die Mutter mit ihrer Leistung als 30. einbezogen wird, dann ist der Multiplikator 60/(30+15) bzw. 1,333.Wenn durch den Töchterdurchschnitt herauskommt, dass er 600 Liter über dem Rassedurchschnitt ist, dann gilt für den Zuchtwert des Vaters 1,333 x 600, das heißt ein Zuchtwert von 900 Litern. Da der Sohn nur die Hälfte der Erbanlagen des Vaters besitzt, erwartet man sich 450 Liter von der Genetik der Vaterseite, statt 250 wie im erstgenannten Beispiel, in dem nur Vaters Mutterleistung einbezogen war. Der mathematisch interessierte Leser mit Tüftler-Mentalität kann prüfen, ob die Durchschnittsformel mit 0 Töchtern und der einen Mutter das gleiche Ergebnis bringt wie die Formel mit Mutterleistung. Richtig kompliziert wird es, wenn zwei Informationen vorliegen, die viel gemeinsam haben, z.B. Mutter und Mutters Mutter, denn die Genetik von Mutters Mutter steckt zur Hälfte bereits in der Genetik der Mutter und die Mutter kann nicht weitergeben, was sie von ihrer Mutter nicht mitbekommen hat. Und da bleibt die Frage nach Töchtern, die Vollgeschwister sind, ob sie von guten oder schlechten Müttern sind, nach anderen Verwandten 2. und 3. Grades, nach Umwelt-Handicaps bei der Leistung usw. Für jede Struktur der Verwandten müssten korrekte Multiplikatoren bzw. Formeln konstruiert werden und da jedes Tier eine andere Anzahl von Verwandten mit unterschiedlichem Verwandtschaftsgrad hat, wäre für jedes Tier eine eigene Formel zu erarbeiten, was praktisch unmöglich ist. Die Rinderzucht hatte sich also lange darauf beschränkt, nur Töchter als Information zu verwenden und durch künstliche Besamung eine repräsentative Anpaarung (Testeinsatz) zu organisieren. Damit waren viele Probleme gelöst. Einfache Formeln waren anwendbar. Dass dies in anderen Tierarten nicht möglich ist, schon gar nicht beim Hund, ist einleuchtend. Daher haben auch in den 70er Jahren vorgeschlagene Nachkommenprüfungen für Deckrüden wenig Sinn und geringe Akzeptanz gehabt.
In diese Entwicklung stießen zwei weichen stellende Innovationen. Henderson schlug zur Zuchtwertschätzung einen analytischen Ansatz vor. Für jedes Tier wurde das zustande kommen der Leistung analysiert und in einer Gleichung definiert. Für den Hodenstatus eines Hundes beispielsweise: Der Hodenbefund ist das Resultat aus der Rassedisposition plus einer genetischen Anlage, die aus dem individuellen Genotyp des Tiere kommt, plus einem Handicap aus der Wurfgröße plus einem Handicap aus der Jahreszeit plus…. usw. (plus einer Summe anderer Einflüsse, die keiner genau kennt). Das gibt für jedes Tier eine Gleichung. Als Nebenbedingungen werden dann die genetischen Zusammenhänge eingebracht, dass also der Genotyp eines Tieres zur Hälfte in den Nachkommen wirkt. Dieses große Gleichungssystem, in dem die Wirkungsgrößen als Unbekannte auftauchen wird dann gelöst und die Unbekannten sind bekannt. So ergibt sich, dass die Wirkung des Genotyps eines jeden Tieres bekannt ist, und das ist dann sein geschätzter Zuchtwert. Weil Rinderzüchter in ihren Datenverarbeitungszentren damals keine 2 Millionen Gleichungen mit zwei Millionen Unbekannten lösen konnten (ich erinnere mich an den Aufwand und an meine Probleme in der Schulzeit bei 3 Gleichungen mit 3 Unbekannten), war das System praktisch nicht anwendbar. Doch die innovative technische Entwicklung zu immer leistungsfähigeren und größeren Computersystemen machte schließlich die Anwendung möglich. 1983 wurden nach diesem Verfahren für Deutsche Wachtelhunde erstmals in Deutschland für eine ganze Rasse Zuchtwerte geschätzt. Erst später wurde das Verfahren in der Rinderzucht zum Standard. Viele Tierzuchtwissenschaftler haben sich seit jener Zeit intensiv um die Optimierung der Methodik und der Programmierung bemüht und über viele Jahre war dies in dem Fachausschuss für Genetisch-Statistische Methoden der Gesellschaft für Züchtungskunde Thema Nr.1.Um Merkmalszuchtwerte für Milchleistung in Relativzuchtwerte umzusetzen, wie sie auch in der Hundezucht verwendet werden, können wir 250 Liter Milch mit 10 Punkten gleichsetzen. Ein Bulle mit Zuchtwert +900 erhält zum Rassedurchschnitt 100 zusätzlich 36 Punkte für seine Leistungssteigerung, er steht somit auf 136. Bei der Leistungssteigerung sind die hohen Zuchtwerte gut, bei Krankheitsmerkmalen sind hohe Zuchtwertzahlen schlecht. Das muss man stets im Hinterkopf halten, wenn man über verschiedene Merkmale beispielhaft spricht. Warum habe ich zu diesem Thema so weit ausgeholt? In dem Leserbrief klang an, dass die Autorin gerne nachrechnen möchte. Mit der Antwort, dass man das eben nicht einfach so kann, weil dazu ein Bleistift und Taschenrechner nicht reicht, ist sie sicher nicht zufrieden. An wenigen eigenen Hunden kann man es auch nicht, weil der Zuchtwert aus allen Verwandten ermittelt wird und die Korrekturfaktoren für Wurf Größe und Geburtsmonat aus 108000 Gleichungen berechnet werden. Mittlerweile sind in allen einschlägigen Lehrbüchern die methodischen Grundlagen erläutert, wie die Gleichungssysteme aufgebaut werden und wie man sie löst. Eine Züchterin fragte mich persönlich, wie Zuchtwerte gerechnet werden. Als ich sie auf diese Quellen aufmerksam machte, sagte sie, dass sie diese kenne, damit aber nichts anfangen könne. Dann ist Hilfe natürlich schwierig und was bleibt ist ein ungutes Gefühl, dass da etwas gerechnet wird was man glauben muss und was keiner versteht. Und genau diese Sorgen nehme ich sehr ernst.
Doch zu den einzelnen Fragen, die im Leserbrief angesprochen wurden, eine erklärende Antwort:
Was ist, wenn sich jemand vertippt?
Die Daten werden dem kynologischen Rechenzentrum, das die Berechnungen durchführt, per Datenträger übermittelt. Diese Daten (HD-Ergebnisse und HF bei der Wurfkontrolle), sind publiziert und wären sicher auch reklamiert, wenn sich einer vertippt hätte. Transparenz der Daten (z.B. über das Informationsprogramm ZIS) hilft hier, Sicherheit zu schaffen. Da Hodenfehler im Wurf früher drastische Auswirkungen auf die Zuchtverwendung hatten, sind diese sicher aufmerksam verfolgt worden.
Was passiert beim ersten Wurf junger Hunde? Es ist richtig, dass die Zuchtwerte beim Auftreten von Hodenfehlern hoch gehen. Sie signalisieren ein erhöhtes Risiko, wenn ein oder mehrere Hodenfehler im Wurf registriert werden. Wenn man bei beiden Eltern gleich unsicher war über die wahre Vererbung, trifft es beide gleich.
Was passiert, wenn der Rüde in weiteren Würfen mit anderen Hündinnen auch Hodenfehler bringt, merkt das der Computer?
Ja, der Rüde wird entsprechend mehr belastet und in logischer Konsequenz wird die Hündin des 1. Wurfes entlastet.
Wenn diese Hündin mit einem gut vererbenden Rüden eine zweite Chance bekommt und nichts auftritt, was für Auswirkungen hat das? Zunächst wird der gute Zuchtwert des Rüden bestätigt oder sogar noch günstiger dargestellt, je nachdem, wo sein Zuchtwert bereits lag. Der Zuchtwert der Hündin verbessert sich auch, aber nicht so drastisch wie manche Besitzer es gerne hätten, denn es ist nicht zu ignorieren, dass in der Nachzucht ja auch das gute Erbe des Vaters steckt. Mehr Klarheit könnte eine repräsentative Anpaarung bringen, aber das würde unnötigerweise viele belastete Welpen ergeben, und soweit darf man nicht gehen. Wer wollte es verantworten, alle Hündinnen mit kryptorchiden Nachkommen an belastete Rüden anzupaaren, um die eine oder andere Hündin herauszufinden, bei der zufälligerweise in einer bestimmten Paarungs- oder Umweltkonstellation ein kryptorchider Nachkomme auftrat.
Sind Zuchthunde benachteiligt? Nein! Couchhunde unterliegen auch den wechselnden Erkenntnissen. Zunächst ist festzuhalten, dass sich Zuchthunde im Zuchtwert verbessern und verschlechtern können. Aufmerksam wird man immer nur auf die, die „einbrechen“, weil man sich durch die gute Herkunft und gute Eigenleistung täuschen ließ und dann enttäuscht wird. Die, die sich verbessern oder durch Nachzucht ihren Zuchtwert bestätigen, sind oft unauffällig. Couchhunde sind ja ohnehin uninteressant, da sie ja nicht zur Zucht anstehen. Aber sie leiden auch unter den Erkenntnissen über ihre Geschwister. Von manchen Besitzern wird das als Sippenhaft empört beklagt, aber Sippe ist eben so definiert, dass sie eine charakteristische Genetik gemeinsam hat.
Wie wird berücksichtigt, wenn z.B. bei HD ein großer Teil aller Geschwister HD-frei ist und nur ein Tier mittlere HD hat. Bedenkt der Computer, dass es Aufzuchtfehler sein könnten? Ja, denn in alle Berechnungen geht die Erblichkeit ein. Das gilt nicht nur für mittlere HD, auch HD-frei kann durch extremes Glück bescheinigt sein. Im vorliegenden Fall stehen einer mittleren HD viele freie Geschwister zur Seite, die den Zuchtwert im guten Bereich halten.
Verpaart wurde eine Hündin zweimal mit dem gleichen Rüden und je einmal mit einem anderen. Wenn nur in der Wiederholungspaarung mittelmäßige Werte auftauchen, wie wird das interpretiert? Die Nachzuchtergebnisse dieser 4 Verpaarungen sind nicht die einzigen Informationen. Wenn der Rüde mit den mittelmäßigen Ergebnissen ansonsten gute Würfe hatte und die Hündin auch ansonsten gute Würfe hatte, neutralisieren sich die mittelmäßigen Ergebnisse in dieser speziellen Kombination. Zuchtwerte sind aber definiert als „Veränderung in der Nachzucht im Mittel aller möglichen Anpaarungen in der Population“. Den Züchter interessiert nicht, ob ein Rüde in bestimmten Kombinationen gut vererbt, denn er weiß ja nicht, ob dieser Spezialeffekt bei seiner Hündin auftritt. In Kreuzungszuchtprogrammen kann man Vaterlinien aufbauen, die speziell zu bestimmten Mutterlinien passen, zu anderen aber nicht. In Reinzuchtprogrammen macht das keinen Sinn.
Auslandshunde, ein Problem? Ich denke nicht. Hunde aus dem Ausland sind nicht immer unbeschriebene Blätter. Es gibt evtl. schon kontrollierte Nachzucht des Tieres in Deutschland oder Nachzucht des Vaters oder des Bruders. Selbst wenn das nicht so ist, hat er ein HD-Ergebnis und er ist wohl auch nicht kryptorchid. Wichtig ist eigentlich, dass ausländische Hunde erst in die Datenbank aufgenommen werden und damit der Zuchtwertschätzung unterliegen, und dann erst eine Zuchtentscheidung fällt. Dass Rüden, von denen man nichts weiß, so eingeschätzt werden, wie Boxer im Durchschnitt vererben, ist mehr als recht. Es wäre falsch und unklug, sie als Glücksbringer zu preisen, aber auch falsch sie zu diskriminieren, nur weil man nichts weiß. Wenn sie tatsächlich mit 100, dem rassetypischen Zuchtwert, eingesetzt werden, hat es die Konsequenz, dass sie nur für gute Hündinnen zur Verfügung stehen. Sie können sich dann in der Zucht durch gute Nachzucht qualifizieren, erhalten eine korrektere, sicherere Einstufung und können dann immer breiter eingesetzt werden. Es sei denn, dass sie schlechte Nachzucht bringen, dann filtern sie sich selbst wieder aus der Population aus. Der freie Nachfragemarkt gibt ihnen dann keine Chancen mehr. Diese Regulation ist wichtig, auch zum Schutz der einheimischen Zucht. Wenn unkontrollierte Auslandshunde einen Freibrief für die inländische Zucht haben, macht ein Zuchtprogramm und die Beschränkungen im eigenen Land keinen Sinn.
Fallstudien: Leider sind zu den Fallstudien keine Zuchtbuchnummern genannt, sodass der konkrete Sachverhalt nicht umfassend nachvollzogen werden kann. Es ist kein Widerspruch, aber selten, dass ein Hund, der aus Eltern mit Kryptorchismus-Geschwistern stammt, ein etwas unterdurchschnittliches Risiko birgt. Der Zuchtwert 98 entspricht, werden 13% im Durchschnitt der Rasse angesetzt (Zuchtwert 100), ca. 11 % Kryptorchismus in der Nachzucht vergleichbarer Tiere. Wenn das so eingeschätzt wird, müssen diese Eltern in dem Wurf, aus der diese Hündin kommt, frei vererbt haben und wohl auch in anderen Würfen. Wenn also keine Nachzucht der Hündin vorliegt, müssen es geprüfte Brüder sein, die ihr eine Prognose 98 bescheren. Warum nicht? Zweiter Fall: Auch hier keine Zuchtbuchnummer zum nachprüfen des Umfeldes. Dass die Erstlingshündin um 18 Punkte stieg, weil 3 von ?? (3 oder 4 oder??) Söhnen Hodenfehler hatten, ist nicht sicher. Möglicherweise hat in der Zwischenzeit ihr Vater auch Probleme vererbt, selbst wenn Mutter und Tanten relativ unbelastet sind. Wenn der Rüde um 4 Punkte und die Hündin um 28 Punkte stieg, dann ist der Rüde entweder schon dicht bei der schlechten Vererbung angesiedelt gewesen, er musste nur gering nachgebessert werden, oder er hat so eine umfangreiche Nachzucht, dass die 3 Fälle geringe Auswirkungen hatten. Wenn der Rüde weitere betroffene Würfe hat und sich weiter verschlechtert, muss die genannte Hündin teilweise entlastet werden. Dass sie aber zur guten Vererberin avanciert, ist bei der massiven Häufung in ihrem Wurf nicht zu erwarten. Erbgut kommt immer von 2 Seiten.
Kann man das Verfahren verstehen oder muss man sich damit abfinden?
Kommen wir zur Quintessenz. Es ist in der Hundezucht sicher schwierig, sich mit Verfahren abzufinden, die neu sind und damit noch mit Akzeptanz zu kämpfen haben. Dabei wird oft vergessen, dass auch simple Verfahren, die verständlich sind, dort zu Diskussionen führen, wo die züchterische Unbefangenheit und Freiheit berührt wird. Hundezucht hat immer auch eine emotionale Komponente – Gott sei Dank! Es gibt aber viele Bereiche, da ist Vertrauen notwendig. Wenn ich zum Arzt gehe und im Rahmen der Krebsvorsorge die PSA Werte bestimmen lasse, kommt es mir nicht in den Sinn, diese nachprüfen zu wollen, auch wenn ich in der Schule gut war und ein Semester Chemie belegte. Ich traue darauf, dass das Verfahren getestet ist und die Methode biologisch begründet ist. Auch wenn ich mein Haus umbaue und der Betonsturz vom Bauingenieur statisch berechnet wird, vertraue ich der Methode und darauf, dass er dann hält, wenn die Sicherheitszuschläge wegen evtl. Materialschwankungen oder Belastungsspitzen berücksichtigt sind. Aber das soll kein Argument in der Hundezucht sein und nur auf die Erfolge hinzuweisen, reicht auch nicht aus. Ich finde das grundsätzliche Interesse am Verständnis der Methode gut und wichtig. Dass solche Fragen und Zweifel aufkommen, ist Beleg dafür, dass zu wenig Ausbildung und Auskunft angeboten wurde. Die ist aber nicht nur zur Einführung einer Methode, sondern dauerhaft nötig, denn es kommen ja immer wieder Neuzüchter in die Züchtergilde, die den Umgang mit Zuchtwerten verstehen sollen. Daher sind Workshops sinnvoll, in denen am PC mit einer kleinen Lernsoftware Fallbeispiele durchgespielt werden. In prägnanten Sonderfällen lässt sich dann nachvollziehen, wie die Zuchtwertschätzung darauf reagiert. Viele oben genannte Fragen mit den Antworten finden dann ihre Bestätigung. Es wird sicher auch Zufriedenheit erzeugt, wenn nicht kluges Reden, sondern anschauliche Fallstudien, die man selbst gerechnet hat und modifizieren konnte, die Zweifel ausräumen.
Zuchtwertschätzung HD beim Hovawart. Eine interessante Frage: Warum stehen ungeröntgte Tiere im Zuchtwert besser da als ihre Geschwister, die mit A2 ausgewertet wurden. Da will doch keiner mehr röntgen lassen, wenn der Zuchtwert bei A2 schlechter wird!
Hüftgelenksdysplasie unterliegt der besonderen Zuchtkontrolle im RZV, die Röntgendichte ist hoch und vorbildlich für alle Zuchtvereine. Die Erfolge der Zuchtstrategie, über strategische Anpaarung nur unterdurchschnittlich belastete Hunde zu züchten, formten den Hovawart, zumindest aus der Sicht des Gutachters, zu einer nahezu HD-freien Rasse. 90% der geröntgten Tiere sind HD-frei (A), davon 80% von exzellenter Gelenkform (A1).Bei diesem hervorragenden Niveau darf man nicht verkennen, dass mehr als 50% der Hunde A1 haben und damit der Rasse-Mittelwert mittlerweile besser als HD-A2 ist. Das bedeutet, dass derzeit eine A2-Begutachtung schlechter als der Jahrgangs-Durchschnitt ist. In der Praxis bemühen sich Züchter, hervorragende Zuchterwartungen anzustreben. Sie züchten, z.B. mit Zuchterwartungen um den Zuchtwert 90, auf extrem niedriges HD-Risiko. Es ist bei diesem Niveau beispielsweise mit ca. 85% A-Hüften zu rechnen, bzw. ca. 75% A1 und 10% A2. Ein Nachkomme aus einer solchen Paarung ist also, wenn man seinen HD-Status nichts kennt (ungeröntgt) mit 85%iger Wahrscheinlichkeit HD-A (bzw. zu 75% HD-A1 und 10% A2) und nur mit ca. 15%iger Wahrscheinlichkeit HD-B und schlechter. Sein Zuchtwert als ungeröntgter Hund entspricht dem mittleren Zuchtwert der Eltern, denn bei der Paarung können alle Vererbungsvarianten aus den Genen der Eltern auftreten. Die Teilgruppe der Nachkommen, die geröntgt ist und mit A1 begutachtet wurde, liegt mit ihren 100% A1 besser als die Erwartung aus den Eltern. Die Restgruppe, die mit A2 oder schlechter begutachtet wurde, liegt schlechter als die Erwartung. Das macht sich auch in den Zuchtwerten bemerkbar: Die A1-Hunde werden besser als der Zuchtwert 90 sein, die Tiere mit A2 höher als 90 und B, C oder D drastisch höher. Wie auch immer, es macht deutlich, dass ein A2-Hund schlechtere Zuchtwerte hat als ein ungeröntgter Hund. Um es noch mal zu verdeutlichen: bei ungeröntgten Hunden erwarte ich bei diesem Beispiel 10% A2, die A2 Hunde sind 100%ig A2.
Der Zuchtwert ungeröntgter Hunde hat aber praktisch keine Bedeutung, denn die Zuchtzulassung erfordert ja das Röntgen. Ungeröntgte Tiere sind, da sie im Mittel bessere Zuchterwartung haben als sicher A2 begutachtete Tiere, keine Konkurrenz zu A2-Tieren. Im Falle der Zucht muss Farbe bekannt werden: A1 oder A2.Man kann sich von der Richtigkeit, dass aus hervorragender Zucht die Zuchtwerte der ungeröntgten Tiere besser sein müssen als die der A2-Tiere, , auch überzeugen: Nehmen wir an, wir wollten eine hervorragende Zuchthündin in unseren Zwinger einstellen. Aus einem Spitzenwurf (HD) werden uns 2 Wurfgeschwister angeboten, die sich im Wesen, Exterieur usw. um nichts nachstehen. Die eine Hündin ist mit A2 geröntgt, die andere ist noch ungeröntgt. Alle bisher sonst noch geröntgten Geschwister sind A1. Welche Hündin würden Sie nehmen, wenn Sie sich sofort entscheiden müssten? Bestimmt die ungeröntgte!
Warum sollte ein Züchter darauf drängen, die Hunde röntgen zu lassen, wenn doch das Risiko besteht, dass sich einzelne wenige Tiere gegenüber den Ungeröntgten verschlechtern können?
Dazu gibt es einige gute Argumente:
- Im Interesse der Rasse ist es wichtig, auch auf dem guten Niveau noch „Verbesserer“ zu finden. Dafür ist es wichtig, die A1-Rate in der Nachzucht zu kennen.
- Wenn die A1-Rate günstiger ist als erwartet, verbessert sich der Zuchtwert der Eltern, wenn ich nicht röntge, bleibt er wie er ist.
- Die A1-Hunde innerhalb des Wurfes haben bessere Zuchtwerte als das Mittel der Eltern. Je weniger ich röntge, umso geringer ist die Auswahlmöglichkeit, Zuchttiere zu rekrutieren.
Auch wenn es zunächst befremdlich ist, dass ein A2-Hund, mit einer gesunden HD-freien Hüfte, mit einer schlechteren Zuchterwartung (Zuchtwert) ausgewiesen werden kann als seine ungeröntgten Vollgeschwister, so ist es dennoch methodisch korrekt.
Fragen aus der Retrieverzucht – Braucht man überhaupt Zuchtwertschätzung?
Ein alte Weisheit besagt, was dem Herzen verschlossen ist, wird auch keinen Eingang in den Kopf finden. Wenn emotionale Barrieren gegen Zuchtwertschätzung aufgebaut sind, ist es schwer, sachlich die Vorteile und Nachteile abzuwägen und eine Bilanz zu ziehen. Fakt ist, dass ein Retrieverzüchter, der sich z.B. nur nach dem ED-Gutachten seines Hundes oder eines ausgewählten Deckrüden richtet, ganz schön aufgeschmissen ist.
Wenn wir von Aussagekraft eines statistischen Verfahrens reden, dann ist die Aussagekraft eines Mittelwertes aus einer rechten und linken Seite ca 10 bis 20% für die spätere Vererbung. Bei Bernern erscheint jetzt im Schweizer Archiv für Tierheilkunde (SAT) ein Artikel über die Aussagekraft der ED-Gutachten. Dass Tiere mit ED-Grad 2 oder 3 besser vererbten als Grad 1 oder Grenzfälle ist zwar nur in der Einführungsphase des ED-Röntgens nachweisbar gewesen, später erhielten Grad 2 und 3 Zuchtsperre und damit keine Chance, bessere Vererbung als manche freie Tiere nachzuweisen. Wie auch immer, der Phänotyp ist schwach in seiner Aussagekraft für die Vererbung. Auch beim Labrador war in Deutschland nachgewiesen, dass der ED-Grad der Rüden deutlich weniger Aussagekraft für die Nachzucht hat als der ED Grad von Hündinnen, obwohl Rüden durch ihre Genetik genauso Nachzuchtunterschiede hervorrufen wie Hündinnen.
Eine einfache Zuchtstrategie eines Vereins, die ED-Grade 2 und 3 von der Zucht fernzuhalten ist einfach, emotional durchsetzbar (mit kranken Hunden züchtet man nicht!) und auch akzeptabel, weil es nur Wenige trifft. Mit Grad 1 tut man sich schon schwer, weil es mehr betroffene Züchter gibt und die Umwelteinflüsse ins Feld geführt werden (80%). Der Erfolg einer solchen Züchtung ist aber minimal (siehe auch SAT). Zudem ist das Verfahren auch manipulierbar: OCD oder Coronoid-operierte Tiere gehen als Frei durch, weil mit einem Jahr der Eingriff nicht mehr nachweisbar ist. Was liegt also näher, als die phänotypische Merkmalsausprägung im Kontext des familiären Umfeldes zu sehen. Aus was für einer Linie kommt das Tier, wie waren die Eltern, deren Geschwister, deren Nachkommen? Wer diese Betrachtungsweise ablehnt, glaubt auch nicht an Vererbung, denn die Gene eines Tieres stammen aus dem Genpool, der in den Vater und die Mutter aus deren Abstammungslinien zusammengeflossen ist. In der Nachzucht fließen diese Gene aus dem Tier mit dem Genom der Paarungspartner zusammen und führen zu neuen phänotypischen Realisierungen (Merkmalen), jeweils unter den Rahmenbedingungen der jeweiligen Umwelt. Da die Umweltbedingungen in der Nachzucht, ebenso wie bei allen anderen Verwandten, sehr vielfältig sind, gleichen sie sich statistisch zu „durchschnittlicher, repräsentativer Umwelt“ aus. Soweit die Vorteile der Gesamtbetrachtung der Zuchttiere mit ihrer Verwandtschaft. Die statistisch Methode, alle „Informationen entsprechend ihres Beitrages zur Erkenntnis“ zusammenzufassen, ist von Tierzuchtwissenschaftlern und Statistikern entwickelt worden, man sollte als Laie nicht daran zweifeln. Wenn ein Zahlenwert (Zuchtwert) nun die Zuchterwartung für das Merkmal beschreibt, wird es so sein dass er anders ist als der Phänotyp. Was besser ist, muss auch anders sein. Es ist emotional manchmal schlimm und bitter, wenn ein HD oder ED freies Tier nun den „Makel“ bekommt, nur durchschnittlich oder gar merkmalsverschlechtend zu vererben. Der Durchschnitt (Mittelwert) liegt definitionsgemäß in der Mitte. 50% liegen darüber bzw. darunter. Wenn aber 75% der Tiere z.B. ED-frei sind, verbergen sich dahinter auch unterdurchschnittliche Tiere (25%), wenn man die biologische Variation zugrunde legt. Eine Diskriminierung von Vererbern um 100 ist daher auch nicht angebracht. Soweit zu dem Verfahren an sich. In dem Brief, der Anlass zu dieser Ausführung war, werden zwei Hauptargumente gegen Zuchtwertschätzung und ihren obligaten Umgang angeführt: Vorselektion und unterschiedliche Datenmenge. Ich möchte sie zu Fragen umformulieren.
Zuchtwertschätzung basiert auf Random Sampling, einer zufallsmäßigen Stichprobenerhebung der Daten. Das ist in der Praxis nicht der Fall. Ist Zuchtwertschätzung wissenschaftlich haltbar?
Randomisierte Stichprobe: Eine zufällig erhobene Datenstichprobe. Die moderne Zuchtwertschätzung beruht N I C H T auf dem Prinzip des Random Sampling! Das ist eine Verwechslung mit einer Nachkommenprüfung.
Nachkommenprüfung: Vor Zeiten der Zuchtwertschätzung wurden beispielsweise in der Schweinezucht von 4 Sauen je 2 Ferkel eingesammelt und auf einer Mastprüfungsanstalt geprüft. Von diesen 8 Nachkommen aus 4 zufällig angepaarten Sauen wurde dann z.B. die durchschnittliche Zunahme, die durchschnittliche Speckdicke usw. genommen und als Nachkommenergebnis für die Selektion des Ebers verwendet.
Bei Bullen wurden zufällig Testbesamungen durchgeführt, in verschiedenen Betrieben, an Kühe verschiedener Abstammung, in verschiedenen Monaten (Saisoneffekt der Milchleistung). Das Durchschnittsergebnis der Töchter-Milchleistung diente dann zur Selektion. Da die Zahl der Töchter aber verschieden war (im Gegensatz zum organisierten Testen beim Schwein), wurde die Mittelwertsabweichung vom Rassedurchschnitt mit einem Zuchtwertschätzungsfaktor multipliziert, der die Tierzahl ausgleicht. Dadurch ist zwar die Nachkommenprüfung eine Zuchtwertschätzung geworden, aber da nicht berücksichtigt wurde, aus was für einer Mutter die einzelnen Töchter stammten, war große Tochterzahl (ca. 60) und zufällige, repräsentative Anpaarung nötig. Moderne Zuchtwertschätzung benötigt diese Zufallsanpaarung nicht, da nicht nur Nachkommen, sondern auch viele andere Verwandte einbezogen werden die damit unter sehr vielen Rahmenbedingungen (Umwelten) ihre Leistung erbrachten und sehr viele „genetische Beimischungen“ haben, die sich zum Repräsentativen ausgleichen. Außerdem ist von jeder „genetischen Beimischung“ sehr viel bekannt. Wenn ein Rüde an eine Hündin gepaart wurde und ein Nachkomme daraus als „Informant“ dient, dann weis man über die Vererbungserwartung der Hündin bereits einiges, sodass dies als Ausgleich des Anpaarungsniveaus verwendet wird. Langer Rede kurzer Sinn: Ein HD-freier Nachkomme aus einer Hündin mit schlechtem Zuchtwert bescheinigt einem Rüden bessere Vererbungserwartung für die Zukunft als ein HD-freier Nachkomme aus einer ohnehin gut vererbenden Hündin. Trotzdem kann Zuchtwertschätzung spezielle Passereignung von zwei Tieren nicht vorausahnen, insofern ist es natürlich aussagekräftiger, wenn ein Rüde 10 geprüfte Nachkommen aus 10 Hündinnen hat als 10 Nachkommen aus nur 2 Hündinnen. Aussagekraft hat aber nichts mit der Zuchtwertzahl zu tun. Ein schlechtes Ergebnis kann auf aussagekräftigen Daten beruhen, ein gutes auch. Der Zuchtwert ist entscheidend für die Vererbung.
Daten, die in die Zuchtwertschätzung einfließen, sind vorgefiltert. Stellt das die Zuchtwertschätzung in Frage?
Die Bedeutung der nicht eingeschickten Ergebnisse wird oft angeführt und wird auch manchmal von Gutachtern als Grund für mangelnden Zuchtfortschritt in dem Land/ der Rasse angeführt. Die Bedeutung ist aber weder nachgewiesen noch nachvollziehbar. Zunächst zur Rasseentwicklung. Wenn Tiere mit HD oder ED nicht eingeschickt werden, können sie auch nicht zur Zucht eingesetzt werden. Sie haben also Zuchtsperre. Das müsste den Zuchtprozess beschleunigen und es wäre nicht anders, wenn sie eingeschickt würden und der Verein würde Zuchtsperre aussprechen. Da in der Schweiz (auch in Deutschland) bei den meisten Rassen, und in früherer Zeit bei allen Rassen weder eine Nachkommenprüfungen noch eine Zuchtwertschätzung praktiziert wurde, ist das kein Argument für erfolglose HD-Bekämpfung. In der Regel hat es der Besitzer auch nicht in der Hand, im laufenden HD- oder ED-Verfahren einzugreifen. Vorröntgen ist viel zu teuer, um praktische Bedeutung zu haben. Ich denke, dass das Problem überschätzt wird. Wenn trotzdem operierte Hunde nicht gemeldet werden, dann müssen wir uns fragen, ob sie geröntgt worden wären wenn sie nicht gelahmt hätten. Alle Tiere mit klinischen Problemen einzubeziehen, gesunde Tiere aber nur dann, wenn man züchten will, wäre eine Verzerrung zum negativen. Wenn Tiere mit HD/ED vorgeröntgt und deswegen dann nicht gemeldet werden, gibt es eine Verzerrung zum Positiven. Trotzdem ist die Auswirkung in der Zuchtwertschätzung gering. Dazu ein Beispiel: Ein guter Vererber hat 10 Nachkommen: 6 Frei(0), 3 Verdacht(1), ein Mittel(3). Ein schlechter Vererber hat 2 Frei, 3 Verdacht, 2 Leicht, 2 Mittel, 1 Schwer.
Nehmen wir an, alle Mittel und Schwer würden verschwiegen! Der Mittelwert der Nachkommen ist dann 0,33 gegenüber 0,6 beim guten Vererber und 1,0 gegenüber 1,7 beim schlechten Vererber! Nach wie vor ist der gute Vererber besser, obwohl die Mittelwerte verzerrt sind. Verzerrung bewirkt, dass die Differenz kleiner wird (weil unterschiedlich stark vorselektiert wird), und dass die Mittelwerte insgesamt besser werden. Beides ist unwichtig, denn die Zuchtwerte werden auf eine vorgegebene Variationsbreite eingestellt (ca. 80-130) und der Rassemittelwert wird auf 100 eingestellt. Wenn ich sage, dass die Auswirkungen gering sind, so ist die Frage natürlich, was ist gering? Wenn bei einer Variationsbreite eines Merkmals von 80-130, also von 50 Punkten eine Zuchtwertveränderung von einem oder 2 Punkten bereits ein Drama auslöst, dann ist diese Aussage angreifbar. Wenn man bei einer Variationsbreite von 4 HD-Graden (0-4) akzeptiert, dass man um einen HD-Grad nachkorrigieren darf, dann sind das 25% der Variationsbreite, dem würden 12,5 Zuchtwertpunkte entsprechen. Die Apriori-Informationen aus der Abstammung und die Eigen-HD sind oft so gut, dass Nachkorrekturen durch die wechselnden Ergebnisse der kontinuierlich eintreffenden HD-Ergebnisse von Geschwistern oder Nachkommen deutlich geringer sind.
Wird denn überhaupt berücksichtigt, wie viele Nachkommen vorliegen? Wie kann es sein dass ein Rüde mit 20 Nachkommen einen schlechteren Zuchtwert hat als ein Rüde der erst 3 Nachkommen geröntgt hat?
Zuchtwertschätzung berücksichtigt die Zahl der Informanten indirekt bereits: Simulieren wir den Fall eines Importrüden: Es gäbe keine Informationen außer einem Nachkommen, der Frei ist. Der Rassedurchschnitt sei Übergangsform, HD=1. Der Nachkomme weicht -1 HD-Grad vom Durchschnitt ab, aufgrund der Erblichkeit von 20% und der Verwandtschaft des Nachkommen von 0,5 erhält er einen Zuchtwert von -0,10 HD-Graden. Es kommen 4 weitere HD-freie Tiere dazu. Er erhält jetzt einen Zuchtwert von -0,42 HD-Grade, obwohl der Mittelwert der Nachzucht gleich geblieben ist. Von der Abweichung der Nachkommen (-1 HD-Grad) wird mehr akzeptiert, weil die Aussage von 5 Nachkommen glaubwürdiger ist. Der Verdacht, dass die Zahl der Nachkommen keine Berücksichtigung fände, trifft für einen Nachkommendurchschnitt, d.h. Evtl. eine Nachkommenprüfung, zu, NICHT aber für die Zuchtwertschätzung. Näheres zu dem Vorhersagefehler von Zuchtwerten findet sich in der Onlinehilfe von Dogbase, dem PC-Informationsprogramm, bei PEV (Prediction Error Variance).
Ist die Datenquelle unhaltbar?
Die Datenquelle für Zuchtwertschätzung ist nicht so schlecht, dass man sie als „nicht haltbar“ titulieren sollte. Natürlich kann man mehr oder unverzerrter Daten erfassen. Ob das durchsetzbar, ökonomisch sinnvoll und letztlich signifikant wirkungsvoller ist, sei dahingestellt, sollte aber überprüft werden. Es ist eine Illusion, dass man Besitzer zum Röntgen zwingen kann, wenn sie es nicht wollen. Wer bezahlt denn das Zwangsröntgen, wer übernimmt das Narkoserisiko, wer opfert die Zeit? … viele offene Fragen. Der Verband Kleine Münsterländer in Deutschland hat 2 Jahre vorbenannte Welpen geröntgt und festgestellt, dass die vorbenannten Tiere nicht anders waren als die unbenannten und dass der Wissenszuwachs (Genauigkeit der Zuchtwertschätzung) so gering war, dass die Kosten nicht gerechtfertigt waren. Das Verfahren wurde auch wegen des organisatorischen Aufwandes eingestellt.
Kann man Paarungsstrategien verbindlich machen, wenn Zuchtwerte nur „geschätzt“ oder „verzerrt“ sind?
Zuchtwerte bzw. aktuelle Zuchtwertschätzungen sind ein dynamisches Warnsystem zur Steuerung der Paarungen. Es warnt bei zu hohen Zuchtwerten davor nicht auch noch Partner mit hohen Zuchtwerten zu verwenden. Hohe Zuchtwerte entstehen nur, wenn hohe HD Grade dahinter stehen, wenn diese also eingeschickt wurden. Es mag sein, dass Züchter manchmal nicht gewarnt werden, weil die Signale verschwiegen wurden. Aber da, wo die Zuchtwerte warnen, sollte die Warnung verstanden werden. Ein Obligatum, keine Hunde zu züchten, die überdurchschnittliches HD-Risiko tragen, sollte jedem Züchter sowieso am Herzen liegen. Wer Zuchtwertschätzung durch eigene Intuition ersetzen will, in Eigenverantwortung der Züchter, sitzt den gleichen Täuschungsmechanismen auf, weil er und die Züchter auf die gleichen Informationen zurückgreifen. Die Gefühle überzeichnen oder schwächen zudem Fakten ab. Insgesamt ist das keine Lösung, wenn man ziel orientiert züchten will. Dabei spielen die Ziele natürlich eine große Rolle.